Therapie der Läsionen peripherer Nerven und des Plexus brachialis

Für Diagnostik und Therapie von Läsionen im Bereich der Hirnnerven und der peripheren Nerven (Plexus brachialis und dessen terminale Endäste) verwenden wir ein sogennantes "integratives Therapiekonzept", welches neben der primär anzustrebenden Nervenrekonstruktion, sekundäre Muskelersatzoperationen und (tertiäre) adjuvante Eingriffe umfaßt. Die Therapiedauer beträgt unabhängig von der gewählten Primärtherapie (konservativ versus operativ) etwa 3 - 5 Jahre. Während dieser Zeit ist eine physiotherapeutische Basistherapie - in unterschiedlicher Form und Intensität - fortzuführen. Unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche primäre oder sekundäre Wiederherstellung der Funktion sind stabile knöcherne Verhaltnisse, ein "ersatzstarkes" Transplantatlager und freie passive Gelenkbeweglichkeit. Nur durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit kann ein optimales Therapieergebnis erreicht werden. Mitglieder des Therapie-Team sind neben dem Chirurgen (Plastische Chirurgie, Neurochirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie) - oft in Verbindung mit dem (Neuro-Pathologen - der Hausarzt ("Drehscheibe"), Physiotherapeut (Krankengymnastik, Ergotherapie), Neurologe und in besonderen Fällen anästhetiologische Schmerzambulanz (bei Deafferenzierungsschmerzen oder Kausalgien),  Sozialdienste/Arbeitsamt/Berufsgenossenschaft (berufliche Rehabilitation bzw. Wiedereingliederung) Orthopädietechniker (Hülsen- und Schienenapparate), Psychotherapeuten und Patienten-Selbsthilfegruppen. Der stetige Informationsaustausch (Telefonate, Arztbriebe) innerhalb des Teams ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur dann ereicht werden, wenn alle Mitglieder des Therapieteams lückenlos zusammenarbeiten. Besonders muss auf die Bedeutung der prä- und postoperativen Physiotherapie muss hingewiesen werden. Für ein gutes Ergebnis ist es immer günstig, wenn der Patient vor der Operation gelernt hat, den ausgewählten Muskel bewußt isoliert anzuspannen. Darüberhinaus sollte immer ein spezielles Auftrainieren des zu transponierenden Muskels durchgeführt werden.

Tab.: Das "integrative Therapiekonzept" bei Läsionen peripherer Nerven    

 

Der nervalen Rekonstruktion durch spontane Regeneration oder frühzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion, wird höchste Priorität gegeben. Bei Ausbleiben der spontanregeneration oder inadäquater spontanregeneration können durch Neurolyse, direkte spannungsfreie Naht (in seltenen Fällen) und Nerventransplantation können in der Regel die besten funktionellen Ergebnisse erzielt werden. Die wiedergewonnenen motorischen Funktionen werden umso besser eingesetzt, je besser die Sensibilität im Handbereich ("taktile Gnosis") rekonstruiert werden kann. Darüberhinaus nimmt auch die Anzahl der für sekundäre motorische Ersatzoperationen zur Verfügung stehenden Muskeln signifikant zu. 

Liegt zum Zeitpunkt der Nervenläsion kein Nervendefekt vor, sollte, vorausgesetzt der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt es, wenn immer möglich, eine spannungsfreie primäre Nervennaht durchgeführt werden. In allen anderen Fällen erfolgt die Versorgung der Nervenläsion sekundär nach 3 bis maximal 6 Monaten mit Hilfe einer Nerventransplantation. Da die funktionellen Ergebnisse nach Nerventransplantation 6 Monate nach Unfall aufgrund einer Endorganschwäche in den reinnervierten Muskeln deutlich schlechter wird, muss die nervale Rekonstruktion Priorität gegenüber sekundären traumatologischen Eingriffen haben. Eine nervale Rekonstruktion mit dem Ziel der Verbesserung der Motorik sollte abhängig von der Entfernung zwischen Läsionehöhe und Muskel nicht später als 12 maximal 18 Monate (schluternahe Muskulatur) durchgeführt werden. Soll nur eine Verbesserung der (protektiven) Sensibilität erreicht werden kann eine nervale Rekonstruktion auch nach 24 - 36 Monaten noch durchgeführt werden.

Bei allen mikrochirurgischen Nervennähten ist eine postoperative Ruhigstellung für 10 Tage obligat, weshalb nie gleichzeitig Sehnen-und/oder Gelenkeingriffe durchgeführt werden dürfen. Übungsstabilität im Bereich der Nervennaht besteht nach 3 Wochen.

 

Durch einfache oder multiple Sehnenumsetzplastik(en) kann eine spezifische Bewegungsform wiederhergestellt oder verstärkt (augmentiert) werden. Sehnentranspositionen können monopolar, d.h. nur eine Insertion wird verändert und bipolar, d.h. Ansatz und Insertion werden abgelöst und neu inseriert, durchgeführt werden. Sie können ein (monoartikulär) oder mehrere (polyartikuläre) Gelenke bewegen. Sekundäre Ersatzoperationen werden im allgemeinen 2 bis 3 Jahre nach erfolgter Nervenrekonstruktion durchgeführt. In seltenen Fällen kann die Sehnentransposition auch gleichzeitig mit der Nervenrekonstruktion erfolgen. Vor allen im Bereich des N. radialis (Oberarmsegment) hat sich ein derartiges Vorgehen bei Patienten älter als 50 Jahre bewährt. Stehen bei ausreichender Innervation keine Muskel-Sehnen-Gruppen für die Transposition zur Verfügung (direkte Muskelschädigung, Muskeldegeneration bei Denervationszeit > 2 - 3 Jahre) kann eine freie mikrovaskuläre funktionelle Muskeltransplantation durchgeführt werden. Fehlt eine ausreichende Innervation kann mit Hilfe eines mehrzeitigen Vorgehens ein Nerventransplantat vorgelegt werden um dann bei ausreichender Axonzahl im Bereich des distalen Transplantatstumpfes eine freie mikrovaskuläre Muskeltransplantation durchzuführen. Neben den defektbedingten Faktoren lassen sich auch patientenbedingte Faktoren benennen, welche die Auswahl des Verfahren signifikant beeinflussen können. Zu den patientenbedingten Faktoren gehören Alter, Geschlecht, allgemeiner Gesundheitszustand, Beruf und Freizeitverhalten, Intelligenz, Wünsche des Patienten, Kompliance, soziales Umfeld und Motivation.

 

Die bisher genannten Rekonstruktionsverfahren können durch adjuvante Eingriffe zu jedem Zeitpunkt der Therapie oft funktionell deutlich verbessert werden. Neben der Möglichkeit der Tenodese und Kapsulodese sollte auch die Arthrodese bedacht werden. Schließlich können auch orthetische Hilfsmittel und Hülsenapparate eingesetzt werden um die Funktionalität der gesammten Extremität zu verbessern. Zur Optimierung der Nervenregeneration und zur Therapie von Ko-Kontraktionen kann die intramuskuläre Injektion von Botulinustoxin erfolgreich eingesetzt werden.

   

  • Peripherer Nerven   
    • Kompressionssyndrome (z.B. Karpaltunnel-Syndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom)
    • Traumatische Nervenläsionen
    • Tumoren der peripheren Nerven
  • Plexus brachialis und Plexus lumbosacralis (Referenzzentrum für geburtstraumatische und posttraumatische Läsionen des Plexus brachialis beim Neugeborenen und Erwachsenen)
    • Geburtstraumatische Läsion des Plexus brachialis beim Neugeborenen
    • Posttraumatische Läsion des Plexus brachialis beim Erwachsenen
    • Chronischer Strahlenschaden (aktinische Läsion) des Plexus brachialis
    • Posttraumatische Läsion des Ploexus lumbosacralis beim Erwachsenen
  • Therapie der Gesichtslähmung (N. facialis/VII)
    • Angeborene Fehlbildungen und Syndrome (z.B. Möbius-Sequenz)
    • Erworbene Defekte (Trauma, Tumor)


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