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Hodentumore


(Stand 1999/2000)

 

I. Tumorentität Hodentumor (ICD C62.1)

 

 

II. Pathologie

Man unterscheidet Seminome und Nichtseminome. Letztere können aus unter-schiedlichen Gewebetypen bestehen (Embryonalzellkarzinom, Teratom / Terato­karzinom, Chorionkarzinom, Dottersacktumor). Während Nichtseminome ß-HCG und AFP produzieren können, ist AFP beim Seminom nicht erhöht, ß-HCG in ca. 20 % der Fälle.

 

 

III. TNM-Klassifikation

UICC (1997), Lugano-Klassifikation (1979), IGCCCG-Klassifikation (1995)

 

 

IV. Diagnostik

  • klinische Untersuchung mit Palpation der Hoden und sämtlicher Lymphknotenstationen
  • Bestimmung der Tumormarker alpha Fetoprotein (AFP), beta-humanes Choriongonadotropin (beta-HCG), Lactatdehydrogenase (LDH) und placentare Alkalische Phosphatase (PLAP) vor und nach Semikastration (LDH und PLAP nur beim Seminom von Bedeutung; Stellenwert der PLAP noch unklar)
  • Sonographie der Hoden und des Beckens/Abdomens (retroperitoneale Lymphknoten, Leber, Nieren)
  • Röntgen-Untersuchung der Thoraxorgane
  • Computertomographie des Abdomens/Beckens und des Thorax bei ausgedehnten retroperitonealen und/oder pulmonalen Metastasen CT des Schädels und Knochenszintigraphie
  • Biopsie des kontralateralen Hodens zum Ausschluss einer testikulären intraepithelialen Neoplasie (TIN)

 

 

V.  Stadiengerechte, interdisziplinäre Therapie

  • Operation des Primärtumors über Inguinalschnitt und gleichzeitig Biopsie des kontralateralen Hodens

 

Findet sich in der Biopsie des kontralateralen Hodens eine TIN, Indikation zur Bestrahlung mit 18Gy (Standarddosis) bei Einzelhoden und nachfolgende Kontrolle des Serum-Testosterons. 

 

Studie:

Stufenweise Dosisreduktion bei Bestrahlung eines TIN-tragenden Hodens (Studienleitung: Prof. Dieckmann, Urologische Klinik, Albertinenkrankenhaus Hamburg). Bei gesundem kontralateralen Hoden, z.B. bei extragonadalem Hodentumor, keine Strahlentherapie wegen Abschirmungsproblemen der Gegenseite, sondern Semikastration. Bei geplanter Chemotherapie zunächst keine Bestrahlung, Kontrollbiopsie 6 Monate nach Abschluss der Chemotherapie zum Ausschluss einer persistierenden TIN. Ist diese vorhanden, sekundäre Bestrahlung. 

Überwachungsstrategie nur in Einzelfällen, z.B. beim Wunsch nach Vaterschaft, wenn   im Spermiogramm zumindest eine Oligozoospermie besteht.

 

Seminom

klinisches Stadium I

Standard:

Adjuvante Bestrahlung der infradiaphragmalen paraaortalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 26 Gy. Feldgrenzen: Oberkante von BWK 11, Unterkante von LWK 4, lateral seitliche Begrenzung der Wirbelkörperfortsätze.

 

Studie:

Bestrahlung versus adjuvante Monochemotherapie mit 2 Kursen Carboplatin (Studienleitung: Prof. Bamberg, Institut für Radiotherapie, Universitätsklinik Tübingen).

 

Seminom, klinisches Stadium IIA/B

Standard:

Im klinischen Stadium IIA Bestrahlung der infradiaphragmalen paraaortalen und ipsilateralen iliakalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 30Gy. Feldgrenzen: proximal und lateral wie im Stadium I, distal bis zum Dach der Hüftgelenkspfanne.

Im Stadium IIB Bestrahlung der infradiaphragmalen und ipsilateralen iliakalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 36Gy.

 

Studie:

Therapie mit drei bzw. vier Kursen einer Monochemotherapie mit Carboplatin für das Stadium IIA bzw. B (Studienleitung: Frau Dr. S. Krege, Urologische Klinik, Universitätsklinik Essen).

 

Seminom im klinischen Stadium >/= II C

Standard:

Applikation von 3-4 Zyklen der Kombinationschemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin (PEB); bei Kontraindikationen gegen Bleomycin kann dieses durch Ifosfamid (PEI) ausgetauscht werden.

 

Nichtseminom

 

klinischen Stadium I

Drei hinsichtlich des Überlebens gleichwertige Therapieverfahren:

  • diagnostische modifizierte oder nervenschonende retroperitoneale Lymphadenektomie
  • watchful waiting (risikoadaptiert, d.h., nicht beim Embryonalzell-Ca oder Gefäßinvasion des Primärtumors)
  • adjuvante Polychemotherapie mit PEB (2 Zyklen)

 

Dem Patienten müssen Vor- und Nachteile der Therapieverfahren erläutert und die Entscheidung individuell getroffen werden.

 

Studie:

Diagnostische Lymphadenektomie versus 1 X PEB  und risiko-adaptiert: watchful   waiting versus adjuvante Chemotherapie (2 x PEB) (Studienleitung: PD Dr. med. P. Albers, Urologische Klinik, Universitätsklinik Bonn).

 

klinisches Stadium IIA/B

Zwei hinsichtlich des Überlebens gleichwertige Behandlungsverfahren:

  • primäre Lymphadenektomie plus 2 Kurse adjuvante Polychemotherapie
  • primäre Chemotherapie +/- Residualtumorresektion

 

klinisches Stadium >/= IIC (gute/ intermediäre Prognose)

Standard:

Applikation von 3 bis 4 Zyklen Chemotherapie (PEB); bei Kontraindikationen gegen   Bleomycin PEI. Mehr als 4 Zyklen Chemotherapie sind nicht indiziert.

 

Studie:

PEB versus Taxol + PEB (EORTC-Protokoll)

 

klinisches Stadium >/= IIC (schlechte Prognose) 

Standard:

4 Zyklen PEB oder PEI

 

Studie:

Primäre Hochdosis-Chemotherapie PEI + PBSC; Phase I/II HD PEI + Taxol + PBSC   (Studienleitung: PD Dr. Bokemeyer, Klinik für Hämatoonkologie, Universitätsklinik Tübingen).

 

Entfernung von Residualtumor

  • klinisch komplette Remission nach Chemotherapie( negative Marker, Residuen < 1cm): keine operative Exploration
  • fehlende komplette Remission (negative Marker, Residuen > 1cm bei Nichtseminom, > 3 cm bei Seminom) Residualtumorresektion.

 

Bei der Operation reicht die Entfernung des Residualtumors, soweit die Schnellschnitte Nekrose und Fibrose ergeben. Bei Gefährdung vitaler Strukturen ist eine R1-Resektion erforderlich. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Schnellschnitt gesteuerte Untersuchung der Resektionsränder. Bei vitalem malignen  Tumor muss eine radikale Lymphadenektomie durchgeführt werden mit anschließender adjuvanter Chemotherapie (2 x PEB). Patienten, mit positiven Markern werden nur operiert, wenn keine andere Therapieoption mehr besteht (Langzeitüberleben 25% - eigene Daten). Beim Seminom Entfernung von Residualtumor > 3cm; bei Befunden < 3cm Bildgebende Kontrolle. Anteile an reifem Teratom und vitalem malignen Tumor sehr viel geringer.

Auch Entfernung von Residuen in Lunge und Leber bei Markernormalisierung. Hinsichtlich der histologischen Befunde keine Unterschiede für das Retroperitoneum, Lunge und Leber.

 

Patienten mit ZNS-Metastasen

Simultane Applikation von Cisplatin-haltiger Chemotherapie und   Ganzschädelbestrahlung ( in den meisten Serien 50Gy). Individuelle Indikation zur Operation; vorher obligate Durchführung eines NMR (Ausschluss einer disseminierten Metastasierung). Mögliche Indikationen für eine Operation: singuläre Hirnmetastase vollständig kontrollierte systemische Erkrankung; teratomhaltige Primärhistologie und/oder zystische Veränderungen im Bereich der Metastase sowie opera­tionstechnisch günstige Lokalisation.

 

Rezidiv nach Cisplatin-haltiger Primärtherapie

Erstes Rezidiv

 

Standard:

4 Zyklen einer konventionell dosierten Chemotherapie unter Einschluß von Cisplatin und Ifosfamid (+ Etoposid, Vinblastin, evt. Taxol). Nur 10-20% der Patienten werden mit dieser konventionell dosierten Rezidivtherapie langfristig tumorfrei bleiben.

 

Studie:

Hochdosis-Chemotherapie mit PBSC-Retransfusion, z.B. CEL x 2.

 

Zweites oder späteres Rezidiv

 

Standard:

Für diese Situation keine Standardtherapie; eine konventionell dosierte Cisplatin-haltige Chemotherapie praktisch immer ohne Erfolg. Daher Hochdosischemotherapie unter Einschluß von peripheren Blutvorläuferzellen.

 

 

VI. Nachsorge

Watch and wait im Stadium I:

 

Im ersten Jahr Kontrolle alle 2 Monate, im zweiten Jahr alle 3 Monate, im dritten bis fünften Jahr alle 6 Monate (körperliche Untersuchung, Tumormarker, Röntgen-Thorax, Sonographie des kontralateralen Hodens, des Abdomens/Beckens im Wechsel mit CT).

 

Alle übrigen Stadien nach Bestrahlung und/oder Chemotherapie:

Im ersten und zweiten Jahr alle 3 Monate, im dritten bis fünften Jahr alle 6 Monate (körperliche Untersuchung, Tumormarker, Röntgen-Thorax, Sonographie des kontralateralen Hodens, des Abdomens/Beckens im Wechsel mit CT; alle 6 Monate  Bestimmung von Serum-Testosteron und LH bis Werte stabil). Im Stadium I Nachsorge an stattgehabte Therapie anpassen: nach retroperitonealer Lymphadenektomie CT in größeren Abständen, nach systemischer Chemotherapie auch Röntgen-Thorax in größeren Abständen.