Okulo-Aurikulo-Vertebrales Spektrum (OAVS)


Hintergrund
Das Okulo-Aurikulo-Vertebrale Spektrum (OAVS) ist nach der Lippen-Kiefer-Gaumen Spalte die zweithäufigste Fehlbildung des Gesichts (Inzidenz 1:5.600). Es handelt sich um ein phänotypisch und wahrscheinlich auch genetisch heterogenes Krankheitsbild, dessen genetische Ursachen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geklärt sind. OAVS fasst die ursprünglich als getrennte Entitäten beschriebene hemifaziale Mikrosomie und das Goldenhar-Syndrom zusammen. Die klinische Ausprägung kann sehr unterschiedlich sein: Eine milde Ausprägung liegt dann vor, wenn nur eine Mikrotie (verkleinertes Ohr), die als minimal diagnostisches Kriterium definiert ist, vorhanden ist. Stark betroffene Patienten weisen neben der Mikrotie eine hemifaziale Mikrosomie (Unterentwicklung einer Gesichtshälfte), Anomalien der Wirbelkörper und epibulbäre Tumoren (Tumoren des Auges) auf, gelegentlich auch assoziiert mit einer mentalen Retardierung. Die meisten Fälle von OAVS treten sporadisch auf, aber es wurden auch familiäre Fälle mit autosomal dominantem oder autosomal rezessivem Erbgang beschrieben. Bezüglich der Ätiologie/Pathogenese werden verschiedene Hypothesen diskutiert. Die häufig einseitig auftretenden Veränderungen deuten auf eine Fehlentwicklung in der Embryogenese hin, die durch externe Einflüsse auf einzelne Bereiche der Wachstumszonen entstanden sein könnten. „Overripeness Ovopathy (Überreife der Eizelle)“ wird ebenfalls als ursächlich diskutiert. Opitz (Opitz, 1982) stellte die Hypothese auf, dass die Mandibula (Unterkiefer), der Jochbogen und die Mittelohrstrukturen ein „Entwicklungsfeld (developmental field)“ darstellen. Dies bedeutet, dass im Falle einer abnormen Entwicklung einer dieser Strukturen, die restlichen beiden Strukturen des Entwicklungsfeldes auch einen Entwicklungsdefekt aufweisen. Exogene Faktoren könnten ein mütterlicher Diabetes mellitus und die Einnahme teratogener Medikamente, wie Thalidomid, Primidon oder Retinolsäure, sein.

Forschungsprojekt zum Okulo-Aurikulo-Vertebralen Spektrum (OAVS)


Klinische Daten(OAVS)
Nach Auswertung von standardisiert erhobenen klinischen Daten von 53 Patienten mit OAVS, davon 48 sporadische Patienten und fünf Patienten mit einer positiven Familienanamnese, wurde ein neues Klassifikationssystem, bestehend aus sechs Untergruppen, entwickelt. Es zeigte sich eine statistisch signifikante Korrelation zwischen der Untergruppe und der Anzahl der begleitenden klinischen Zeichen und eine signifikante Differenz zwischen uni- (einseitig) und bilateral (beidseitig) betroffenen Patienten. Damit ist diese Klassifikation für die Einteilung der Patienten mit OAVS anhand des Schweregrads der klinischen Ausprägung hilfreich. Ferner wurde auch ein Bewertungssystem entwickelt, das prognostische Aussagen im Hinblick auf mögliche assoziierte klinische Zeichen erlaubt. Es zeigte sich, dass bestimmte Gruppen von klinischen Zeichen häufig zusammen auftreten. (Tasse et al., 2006). Die Sammlung der klinischen Daten von Patienten mit OAVS, insbesondere von Patienten mit positiver Familienanamnese, wird fortgeführt. Anhand der Daten soll unter anderem auch geprüft werden, ob Eltern von Patienten mit OAVS gehäuft Fertilitätsstörungen haben und ob die Zwillingsrate erhöht ist.

Identifikation genetischer Ursachen für das OAVS(OAVS)


Im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojekts (WI 1440/6-3) sollen die genetischen Ursachen des Krankheitsbildes aufgeklärt werden. Ausganspunkt war eine Patientin mit OAVS und einer chromosomalen Translokation 46,XX,t(4;8)(p15.3;q24.1). Über diese Translokation konnten zwei Kandidatengene identifiziert werden, die möglicherweise zur Entstehung von OAVS beitragen: RAB28 und BAPX1 . Das RAB28 Gen ist bei der Patientin mit der o.g. Translokation zerrissen und war somit das erste Kandidatengen, das in 75 Patienten untersucht wurde. Es wurden jedoch keine Veränderungen gefunden. Etwa 78kb entfernt vom Translokationsbruchpunkt liegt das Gen BAPX1. Es spielt beim Fisch, beim Frosch und bei der Maus eine wichtige Rolle in der embryonalen Entwicklung des Gesichts. Wird dieses Gen in Mäusen inaktiviert, zeigen die Mäuse u.a. Fehlentwicklungen von Schädelknochen und Wirbelkörpern. Wir haben BAPX1 in 105 Patienten mit OAVS untersucht, jedoch keine Mutationen identifizieren können. Untersuchungen der Expression von BAPX1 haben hingegen ergeben, dass die Aktivität des Gens in Patienten mit OAVS gestört ist. BAPX1 wird normalerweise von beiden Allelen abgelesen, jedoch zeigte sich bei einigen Patienten, dass ein Allel deutlich weniger aktiv ist als das andere. Das Phänomen eines verschobenen Transkriptverhältnisses konnte bisher bei fünf von zwölf Patienten nachgewiesen werden, wohingegen neun Kontrollpersonen ein ausgeglichenes Transkriptverhältnis beider Allele zeigten. Zur Untersuchung der Ursache des verschobenen Transkriptverhältnisses haben wir kultivierte Fibroblasten der Patienten und ihrer Angehörigen untersucht. Die kultivierten Zellen wurden mit Reagenzien behandelt, die die DNA-Methylierung bzw. die Histondeacetylierung inhibieren. Mit dem Histonacetyltransferaseinhibitor Trichostatin A konnte das verschobene Transkriptverhältnis bei zwei untersuchten Patienten korrigiert werden. Dies zeigt, dass die reduzierte Aktivität eines Allels auf eine fehlerhafte Histonmodifikation (Histon = DNA bindende- und Chromatin organisierende- Proteine) zurückzuführen ist (Fischer et al., 2006).

Wir untersuchen zurzeit das allelische Transkriptverhältnis weiterer Patienten. Patienten, deren allelisches Transkriptionsverhältnis nicht mit Trichostatin A korrigiert werden kann, sollen auf alternative Ursachen hin untersucht werden. Hierfür sollen die möglichen regulatorischen Elemente von BAPX1 charakterisiert und auf Mutationen hin untersucht werden.

Projektverantwortliche:
PD Dr. D. Wieczorek
Dr. H.-J. Luedecke
Prof. Dr. B. Horsthemke
 
Link zum „Netzwerk Goldenharsyndrom und Ohrmuscheldysplasie e.V.“
Link zum „Forschungsverbund ausgewählter craniofacialer Entwicklungsstörungen“ (FACE)