Malignes Mesotheliom
AUTOREN
Prof. Dr. J. Schütte/Dr. W. Eberhardt
Innere Klinik und Poliklinik (Tumorforschung),
Dr. Oldenburg / PD Dr. G. Stüben / Prof. Dr. M. Stuschke
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie,
Priv.-Doz. Dr. G. Stamatis
Ruhrlandklinik Heidhausen
Abtlg. für Thoraxchirurgie und thorakale Endoskopie
Tüschener Weg 40
45239 Essen
EPIDEMIOLOGIE
- ca. 0,16 % aller malignen Tumoren
- Inzidenz ca. 10-15/100.000/Jahr
- Häufigkeit pleuraler zu peritonealer Mesotheliome ca. 4-5:1
- Ätiologie: Asbestexposition in ca. 70 % nachweisbar
- Häufigkeitsgipfel: ca. 20-50 Jahre nach Asbestexposition (meist Crocidolit)
- Geschlechtsverteilung m/w: 4-5/1
II. PLEURAMESOTHELIOM
1. Diagnostik
- Thorakoskopie mit Biopsie (Methode der Wahl !)
- CT-Thorax (MRT-Thorax)
- CT Abdomen (peritoneale/abdominelle Beteiligung ?)
- Bronchoskopie (DD: Bronchialkarzinom)
- vor geplanter Resektion ggfs. zusätzlich:
- MRT-Thorax
- Angio-CT/Angiographie
- Mediastinoskopie
- Ösophagusbreischluck
- Lungenfunktionsanalyse
- Knochenszintigramm
- CT-Schädel
2. HISTOLOGIE
histopathologische Formen:
- epithelial
- fibrosarkomatös
- gemischtförmig
- Diagnosestellung an histologischem Präparat (Anerkennung als Berufserkrankung !)
- Gewebeentnahme mittels Thorakoskopie (o. Thorakotomie): Sensitivität ? 80 %;
- ZYtologischer Tumorzellnachweis mit Hilfe eines Pleurapunktats nur bei ? 30- 50 % der Patienten erfolgreich. Inwieweit neue immunhistochemische Marker die Diagnostik und die Differentialdiagnose gegenüber Adenokarzinomen verbessern, ist noch nicht abschließend geklärt.
3. STADIENEINTEILUNG
Die Stadieneinteilung nach Butchart et al. ist die am häufigsten verwendete Klassifikation von historischem Interesse. Aktuell wird die detailliertere Klassifikation der 'International Mesothelioma Interest Group' (IMIG) bzw. 'IASCL' favorisiert.
Stadieneinteilung nach Butchart (historisch):
- Stadium Klinisches Staging
- Stadium Klinisches Staging
I Tumor begrenzt auf die ipsilaterale Pleura und Lunge
II Tumorinvasion in die Thoraxwand, Mediastinum, Perikard, kontralaterale Pleura
III Tumorbeteiligung von Thorax und Abdomen oder von Lymphknoten außerhalb des Thorax
IV Fernmetastasen
- IMIG/IASCL-Klassifikation (1996)
T - Primärtumor
T1 T1a Tumor begrenzt auf ipsilaterale parietale ± mediastinale ±
diaphragmatische Pleura; keine Beteiligung der viszeralen Pleura.
T1b Tumor lokalisiert an ipsilateraler parietaler ± mediastinaler ±
diaphragmatischer Pleura mit Beteiligung der viszeralen Pleura.
T2 Tumor mit ipsilateralem Pleurabefall parietal, viszeral, mediastinal und diaphragmal mit Ausbreitung in Zwerchfellmuskulatur und/oder Ausdehnung von viszeraler Pleura in darunterliegendes Lungenparenchym
T3 Lokal fortgeschrittener aber potentiell resektabler Tumor mit Beteiligung der ipsilateralen Pleura (parietal, viszeral, mediastinal, diaphragmal) und mindestens einer der folgenden Ausdehnungen:
- endothorakale Faszie
- mediastinales Fettgewebe
- solitäre, resektable Manifestation in Thoraxwandweichteilen
- nicht-transmurale Perikardbeteiligung
T4 Lokal fortgeschrittener, technisch inoperabler Tumorbefall der ipsilateralen Pleura (parietal, viszeral, mediastinal, diaphragmal) und mindestens einer der folgenden Ausdehnungen:
- diffuse oder multifokale Thoraxwandinfiltration +/- Rippendestruktion
- transdiaphragmale Ausdehnung ins Peritoneum
- direkte Ausdehnung auf kontralaterale Pleura
- direkte Infiltration von Mediastinalorganen
- Wirbelsäulenbeteiligung
- transmurale Perikardinfiltration +/- Perikarderguß und/oder Myokardinfiltration
N - Lymphknoten
NX regionale Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0 keine regionalen Lymphknotenmetastasen
N1 ipsilaterale bronchopulmonale oder hiläre Lymphknotenmetastasen
N2 subkarinale oder ipsilaterale mediastinale Lymphknotenmetastasen incl. der Mammaria interna Lymphknoten
N3 kontralaterale mediastinale, kontralaterale Mammaria-interna, ipsi- oder kontralaterale supraklavikuläre Lymphknotenmetastasen
M - Fernmetastasen
MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden
M0 kein Nachweis von Fernmetastasen
M1 Fernmetastasen
- Stadieneinteilung gemäß IMIG / IASCL
Stadium I
Ia T1a N0 M0
Ib T1b N0 M0
Stadium II
T2 N0 M0
Stadium III
jedes T3 jedes N1-2 M0
Stadium IV
jedes T4 jedes N3 jedes M1
4. Krankheitsverlauf/Prognose
- Prognostische Parameter:
günstig:
- Allgemeinzustand : 0-1 (WHO)
- Symptomdauer < 6 Monate
- Stadium I (Butchart), Stadien I/II (IMIG/IASCL)
- Alter > 65 Jahre
- epithelialer Subtyp
ungünstig:
- Allgemeinzustand: 2-4 (WHO)
- Symptomdauer < 6 Monate
- Stadium II-IV (Butchart), Stadien III/IV (IMIG/IASCL)
- Alter > 65 Jahre
- sarkomatöser/gemischtförmiger Subtyp
- Leukozytose/Thrombozytose ?
- männl. Gewchlecht ?
- ungünstige prognostische Parameter: mediane Überlebenszeiten ca. 5-8 Monate; 1-JÜR ca. 4-20%
- günstige prognostische Parameter: mediane Überlebenszeiten ca. 10-18 Monate; 1-2 JÜR 30-50%; 4-5 JÜR ? 3-6%.
5. THERAPIE
Chirurgische Therapiemaßnahmen
- Extrapleurale Pleuropneumonektomie mit Perikard- und Zwerchfellresektion
- potentiell kurativer Eingriff bei wenigen Patienten mit günstigen prognostischen Parametern (s.o.) und fehlendem mediastinalen LK-Befall; dabei 3-JÜR von 20 (-40) % beschrieben
- perioperative Mortalität ca. 5-10%
- ggf. kombinierte Therapie mit Chemo- und Radiotherapie
- der Stellenwert einer postoperativen, intrakavitären photodynamischen Therapie ist noch nicht geklärt
- Pleurektomie/Dekortikation
- palliative Therapiemaßnahme zur Prävention und Therapie rezidivierender Ergüße (Erfolgsrate ca. 70-85%)
- palliative Indikation als subtotale "debulking"-Operation (R1- /R2-Resektion) bei lokal komplizierenden Tumormassen; ggfs. in Kombination mit Radio- und Chemotherapie angewendet
- ein Vorteil durch Pleurektomie/Dekortikation (± Radio-/Chemotherapie) für die mediane ÜLZ ist nicht gesichert
- Thorakoskopische Talkumpleurodese
- einfache, palliative Therapiemaßnahme zur Behandlung rezidivierender Pleuraergüße (Erfolgsrate ca. 85-90%).
- Voraussetzung: enfaltungsfähige Lunge (thorakoskopischer Befund)
- Talkum-Applikation in Form von Puder mit Hilfe eines Vaporisators
Strahlentherapie
- Indikation meist limitiert durch großes Strahlenfeld und begrenzte Strahlentoleranz der umgebenden Gewebe
- positiver Effekt einer großvolumigen, alleinigen oder postoperativen perkutanen Strahlentherapie aufMÜZ oder längerfristige ÜR nicht gesichert
- bei lokalisierten Tumormanifestationen bzw. postoperativen Tumorresiduen evtl. Indikation zu einer kleinvolumigen Bestrahlung (45-60 Gy), wodurch bei einigen wenigen Patienten eine längerfristige Tumorfreiheit oder ein mehrjähriges progressionsfreies Intervall beobachtet werden konnte
- gelegentliche Indikation zur palliativen perkutanen Strahlentherapie einer Tumorinfiltration der Thoraxwand, z.B. im Bereich ehemaliger Punktions- bzw. Drainagelokalisationen ('Impfmetastasen').
Chemotherapie
Systemische Chemotherapie
- Ein "Therapiestandard" für die systemische Behandlung von Pleuramesotheliomen existiert nicht.
- Ein positiver Effekt einer Mono- oder Kombinationschemotherapie auf die medianen Überlebenszeiten (MÜZ) ist durch prospektive Studien nicht gesichert
- Die Überlegenheit einer Kombinationschemotherapie gegenüber einer Monotherapie ist nicht durch prospektive Studien gesichert
- in einigen Studien wurden signifikant längere MÜZ für Patienten mit Remission (CR/PR) gegenüber solchen ohne Tumoransprechen (NC/PD) beschrieben
- signifikante Unterschiede zwischen den 3 histopathologischen Formen hinsichtlich der chemotherapeutisch induzierbaren Ansprechraten sind nicht gesichert.
- Mögliche Therapieindikationen:(a) rasche Progression; (b) klinische Symptomatik, (c) günstige prognostische Parameter
- Monotherapie: Die Remissionsraten (RR) für Cisplatin, Carboplatin, Adriamycin, Mitomycin C, Paclitaxel, Docetaxel, Ifosfamid und Vinorelbin betragen meist ? 10-20%. Für mittelhochdosiertes Methotrexat wurden unbestätigte RR von bis zu ca. 30-40 % beschrieben. Für Gemcitabin wurden RR von bis zu 31 % beschrieben.
- Kombinationstherapie: RR in monoinstitutionellen Studien sind meist höher (bis zu 45 %) als in multizentrischen Studien (? 30 %). Längerfristige komplette Remissionen werden mit einer Kombinationstherapie - ebenso wie mit einer zytostatischen Monotherapie - bisher nur ausnahmsweise (? 3 %) erreicht. Neuere Metaanalysen beschreiben RR von 14-19 % für adriamycinhaltige Kombinationen, 19 % für cisplatinhaltige Kombinationen und eine RR von 29 % für die Kombination von Cisplatin plus Adriamycin. Für die Kombination Cisplatin (Carboplatin) plus Taxan wurde in wenigen Fallberichten zum peritonealen Mesotheliom (s. u.) über objektive Tumorremissionen berichtet; für pleurale Mesotheliome liegen bisher jedoch noch keine verlässlichen Daten vor; diese Kombination sollte nur innerhalb klinischer Studien eingesetzt werden.
Zytokine
- Die systemische Applikation von Zytokinen (IFN-a, IFN-?, IL-2) allein scheint in Einzelfällen wirksam zu sein. Systemische Zytokintherapien sollten kontrollierten Studien vorbehalten sein.
- Intrapleurale Therapie
- Tumorremissionen oder Kontrolle rezidivierender Pleuraergüße in einzelnen Kasuistiken mittels intrapleuraler Applikation von Cisplatin [± Cytosin-Arabinosid oder Mitomycin ± gleichzeitiger systemischer Chemotherapie oder Radiotherapie. Mögliche Indikation: Patienten im Stadium I (-II). In weiter fortgeschrittenen Stadien sollte am ehesten die symptomatische Talkumpleurodese, ggf. ergänzt durch eine Systemtherapie, zur Kontrolle von Pleuraergüssen eingesetzt werden.
- Zytokine: nach intrapleuraler Applikation von Interferon-?, Interferon-a-2b oder Interleukin-2 wurden Remissionen berichtet. Die nach Gabe von Interferon-g beschriebenen kompletten Remissionen fanden sich ausschließlich bei Patienten im Stadium I mit pleuralen Tumormanifestationen < 5 mm. Mögliche Indikation zur intrapleuralen Zytokinapplikation: Technisch oder medizinisch inoperable Patienten im Stadium I (-II), ggf. in Kombination mit systemischer Chemotherapie (in Studien).
Multimodale Therapie
- multimodale Therapiekonzepte zeigten in einigen retrospektiven Untersuchungen höhere MÜZ als bei historischen Kontrollgruppen oder Patientenkollektiven, die eine geringere Therapieintensität erhielten. Die beobachteten Unterschiede bei den MÜZ oder ÜR können auf unterschiedlicher Patientenselektion beruhen und erlauben keine eindeutige Therapieempfehlung
- multimodale Therapien möglichst im Rahmen kontrollierter Studien!
III. PERITONEALES MESOTHELIOM
1. Histologie
- s.o.
2. Stadieneinteilung
- keine einheitliche Stadieneinteilung
- lokoregional entsprechend laparoskopischem und CT-/Sonographie-Befund;
3. Diagnostik
- Laparoskopie (Laparotomie) mit Biopsie
- Computertomographie/Sonographie des Abdomens/Beckens
- Computertomographie des Thorax
4. Prognostische Faktoren
günstig:
- epithelialer Subtyp
- Allgemeinzustand : 0-1 (WHO)
- geringe Tumormasse
- Alter < 65 Jahre
4. Therapie
- multimodale Therapie unter Einschluss von intraperitonealem Cisplatin. Hierunter Remissionsraten von ca. 50-60 %, CR-Raten von bis zu 20-25 % und krankheits-/progressionsfreie 3-5 -JÜR von bis zu 10-20 % erreichbar. In neueren Kasuistiken wurden objektive Remissionen bei 5/5 Patienten nach intravenösem Cisplatin (Carboplatin) plus Paclitaxel beschrieben.
- Mögliche Therapiestrategie:
- Chirurgisches "Debulking" und i.p.-Katheteranlage;
(nach Probebiopsie im Rahmen der Erstlaparotomie zunächst Induktionschemotherapie (ca. 4 - 6mal; s.u.), anschließend 'second-look'-OP und maximale Tumorreduktion mit postop. Fortführung der Chemotherapie (ca. 2-4mal) nach präop. Tumoransprechen).
- Cisplatin i.p. (+/- andere Zytostatika i.v., z.B. Mitomycin, Paclitaxel, Gemcitabin)
- zusätzliche Ganzabdomenbestrahlung (ca. 30 Gy)
IV. Nachsorge
Entsprechend klinischen Erfordernissen (Anamnese, körperliche Untersuchung; BB, Rö-Thorax bzw. CT-Thorax oder CT Abdomen nach Bedarf).
V. WTZE-Spezifika
- Interdisziplinäres Konsiliarteam aus Thoraxchirurgen (Ruhrlandklinik Essen- Heidhausen), Strahlentherapeuten (Klinik für Strahlentherapie) und internistischen Onkologen (Innere Klinik [Tumorforschung]):
- Beteiligung an der interdisziplinären deutschen Arbeitsgruppe zur Therapie der Pleuramesotheliome
hierin:
a) Weiterentwicklung der Frühdiagnostik des Mesothelioms mittels MRT, Thorakoskopie (VATS ) und neuen Methoden der Evaluation der Histopathologie
b) Individuelle multimodale Therapiekonzepte mit Operation, adjuvanter Chemo- therapie und adjuvanter Strahlentherapie bei lokal-fortgeschrittenen Tumorstadien (Therapiestudie der deutschen Arbeitsgruppe zum Mesotheliom Essen/Heidelberg)
c) Experimentelle Therapieverfahren bei primären oder rezidivierten Mesotheliomen
z.B. Phase I, II und III Studien mit neuen Substanzen (Chemotherapie)