07.05.2010
Politik soll sich um Frühchen kümmern

Erster europaweiter Report unter Federführung der Essener Universitätskinderklinik zum Thema Frühgeborene veröffentlicht

Deutschland nimmt in Europa einen traurigen Spitzenplatz bei der Zahl von Frühgeburten ein. Gleichzeitig fehlt es an politischen Programmen zur Verbesserung der frühkindlichen Versorgung. Das ist eines der Ergebnisse eines heute veröffentlichen Reports der European Foundation for the Care of Newborn Infants (EFCNI), der ersten europaweiten Organisation zur Vertretung der Interessen von Frühgeborenen und deren Familien. Der Report untersuchte zwischen August und Dezember 2009 in dreizehn europäischen Ländern die politischen und medizinischen Rahmenbedingungen für Frühgeborene. Das redaktionelle Gremium zur Qualitätsüberprüfung bestand aus zehn Experten, aus Deutschland neben Tübingen unter maßgeblicher Beteiligung der Neonatologie der Universitätskinderklinik Essen. 

 

Während im europäischen Durchschnitt der Anteil von Geburten vor der 37. Schwangerschaftswoche knapp über sieben Prozent liegt, schneidet Deutschland mit fast neun Prozent deutlich schlechter ab und belegt damit hinter Österreich den zweiten Platz. Obwohl die Frühgeborenen zu Europas größten Patientengruppen zählen, spielen sie in der Gesundheitspolitik bisher so gut wie keine Rolle. Damit sich das ändert, stellte EFCNI die Studie gemeinsam mit seiner Schirmherrin, der deutschen Europaabgeordneten Angelika Niebler, in Brüssel vor.

 

Politische Initiativen Mangelware

Der Report kritisiert, dass sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene politische Initiativen, die eine bestmögliche Behandlung von Früh- und Neugeborenen sicherstellen, weitestgehend fehlen. Lediglich in Portugal, Großbritannien und Schweden gibt es eigene Programme zur frühkindlichen Versorgung. Laut dem Report ist in allen anderen untersuchten Ländern die frühkindliche Gesundheitspolitik bruchstückhaft und unkoordiniert. Europaabgeordnete Niebler möchte diesbezüglich Fortschritte sehen: „Europas Kinder sichern unseren künftigen Wohlstand. Darum ist es verwunderlich und kurzsichtig, dass Neugeborene nicht Teil der Agenda der europäischen Gesundheitspolitik sind. Ich hoffe, dass diese Studie den ersten Schritt für eine koordinierte Strategie auf nationaler und EU-Ebene darstellt.“

 

„Die gesundheitspolitischen Strukturen und die Vergütung im Fallpauschalensystem in Deutschland verhindern seit Jahren die ökonomisch sinnvolle Einführung und Kontrolle von größeren spezialisierten Zentren zur Versorgung von Frühgeborenen und eine Bildung von Netzwerken aus mehreren Kliniken. Darüber hinaus muss die Ausbildung von Pflegenden und Ärzten optimiert und die Forschung auf diesem Gebiet gefördert werden“ erklärt Prof. Ursula Felderhoff-Müser, Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde 1 am Essener Uniklinikum und Fachmitglied der Redaktion des Reports. „Zusätzlich braucht es dringend mehr psychosoziale Unterstützung von betroffenen Familien sowie regelmäßige ausführliche Nachsorgeuntersuchungen durch speziell dafür ausgebildetes Fachpersonal insbesondere bei sehr kleinen Frühgeborenen, um Entwicklungsstörungen frühzeitig begegnen zu können“, so Privatdozent Dr. Matthias Keller, Oberarzt der Neonatologie am Universitätsklinikum Essen und Leiter des redaktionellen Gremiums zusammen mit Prof. Hugo Lagercrantz (Karolinska Institut, Stockholm, Schweden).

 

Forderung nach gesundheitspolitischen Programmen für Frühgeboren

EFCNI fordert nationale und EU Behörden auf, die zunehmenden Herausforderungen, die durch Frühgeburten für die Gesundheits- und Sozialsysteme in den Mitgliedsstaaten entstehen, als politisches Problem zu erkennen und anzugehen. Die nationalen Regierungen sollten spezielle gesundheitspolitische Programme zur Behandlung von Frühgeborenen entwickeln, wobei ein Schwerpunkt auf hohen Qualitätsstandards für Prävention liegen sollte.

 

Über EFCNI

European Foundation for the Care of Newborn Infants (EFCNI) ist die erste europaweite Organisation zur Vertretung der Interessen von Frühgeborenen und deren Familien. Sie vereint Eltern und medizinische Fachleute, die gemeinsam die gesundheitlichen Bedingungen von Neu- und Frühgeborenen verbessern wollen, indem sie sich für Präventions-, Behandlungs- und Unterstützungsmaßnahmen einsetzen.

 

Nähere Informationen:    PD Dr. Matthias Keller, Oberarzt der Kinderklinik I

                                   Tel: 02 01 / 723-84961  

                                   matthias.keller@uk-essen.de