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Grippeschutzimpfung bei Tumorerkrankung und Chemotherapie



 

1. Die Grippe/Influenza - Allgemeine Informationen Erreger

Erreger der Influenza sind Orthomyxoviren, die in die Typen A, B und C unterteilt werden. Andere Erreger von den im Herbst und Winter ausgesprochen häufigen Erkältungskrankheiten aber eben nicht der ungleich schwerer verlaufenden Grippe um die es hier geht, sind u.a. Rhinoviren, Respiratory Syncytial Virus (RSV), Adenoviren und das Parainfluenza Virus. Gegen diese meist harmlosen Erkältungs-Viren hilft die Grippeschutzimpfung nicht.
Die große genetische Variabilität der Influenzaviren beruht auf der hohen Mutationsfrequenz und der Fähigkeit zum Genaustausch. Die Anhäufung von Punktmutationen führt stufenweise zu einer Veränderung der beiden Oberflächenantigene und damit zu einer Antigendrift. Neue Driftvarianten von Influenza-A- und -B-Viren sind verantwortlich für das Auftreten von Epidemien und regional begrenzten Ausbrüchen. - Bei gleichzeitiger Infektion mit zwei verschiedenen Virusvarianten kann es zu einem Neuarrangement der acht Genomsegmente kommen. Dieses Phänomen, das zur Entstehung neuer Subtypen führt und nur bei Influenza-A-Viren beobachtet wird, bezeichnet man als Antigenshift. Eine solche Antigenshift war verantwortlich für die Entstehung der Pandemien 1957 (H2N2) und 1968 (H3N2).

Influenzavirus-Infektionen sind weltweit verbreitet. Die Krankheit kann sporadisch, endemisch und in Abständen epidemisch auftreten, wobei sich die einzelnen Epidemien deutlich in ihrem Schweregrad voneinander unterscheiden. Influenzapandemien traten bisher in Abständen von 11-40 Jahren auf und waren gekennzeichnet durch eine hohe Morbidität und Mortalität. Für Influenza-Infektionen ist der Mensch das primäre Reservoir. Jedoch kommen Influenza-A-Viren auch bei Säugern (Schweine, Pferde) und in großer Vielfalt bei Vögeln vor. Influenza-B-Viren treten nur beim Menschen auf. Influenza-C-Viren sind nur sporadisch verbreitet und führen zu milden Erkrankungen. Diese Viren wurden bei Mensch und Schwein nachgewiesen.

 

Infektionsweg, Inkubationszeit, Dauer der Ansteckungsfähigkeit

 Die Übertragung der Influenzaviren erfolgt aerogen durch feinste Atem-Tröpfchen. Die Gefahr einer Ansteckung ist hoch. Die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung (Inkubationszeit) beträgt in der Regel 1-3 Tage. Eine Ansteckungsfähigkeit besteht bereits während der Inkubationszeit und nach dem Auftreten der klinischen Symptome gewöhnlich für 3-5 Tage, bei kleinen Kindern bis zu 7 Tagen.

 

Klinische Symptomatik

Das klinische Bild von Influenzavirus-Erkrankungen kann sehr unterschiedlich sein, es reicht von symptomarmen bis zu schwersten Verläufen mit tödlichem Ausgang. - In der Regel ist die Erkrankung durch plötzlich auftretendes hohes Fieber über 39 °C, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Schweißausbrüche, allgemeine Schwäche, Kopfschmerzen, Halsschmerzen und trockenen Reizhusten gekennzeichnet.
Komplikationen können in jedem Lebensalter auftreten, betreffen jedoch vorrangig Personen mit Grundkrankheiten (chronische Herz-Lungen-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Immundefekte usw.). Die gefürchtetsten Komplikationen sind der perakute Todesfall bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen innerhalb weniger Stunden und die primäre Influenzapneumonie. Relativ häufig entwickeln sich Pneumonien durch bakterielle Superinfektion (Staphylokokken, Pneumokokken, Haemophilus influenzae). Weitere Komplikationen können Hirnentzündungen (Enzephalitiden) und Herzmuskelentzündungen (Myokarditiden) sein. 

Diagnostik

Eine Diagnose ist anhand der klinischen Symptome bei sporadischen Erkrankungen schwer zu stellen, da die Klinik der anderer Erkrankungen der Atemwege ähnelt. Lediglich bei Epidemien ist die Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu diagnostizieren. - Bei unkomplizierten Verläufen ist die Einleitung einer Labordiagnostik nicht erforderlich. Bei schweren Verläufen und dem Auftreten von Komplikationen sollte eine labordiagnostische Sicherung des Erkrankungsfalles angestrebt werden.
Für eine Schnelldiagnostik ist der direkte Nachweis viraler Antigene mittels Immunfluoreszenz oder ELISA aus Nasen-Rachen- und Alveolarsekret eine geeignete Methode, die jedoch in den ersten 3-4 Tagen nach Krankheitsbeginn erfolgen muss. Der Antigennachweis durch Polymerase-Kettenreaktion (PCR) ist in der Regel hochspezialisierten Laboratorien vorbehalten. Therapie Die Behandlung erfolgt überwiegend symptomatisch, bei bakterieller Superinfektion sind Antibiotika indiziert.
Eine spezifische Therapie ist durch Neuraminidasehemmer möglich. Sie wirken gegen Influenza A und B und blockieren die Wirkung der viralen Neuraminidase. Die Therapie einer Influenza A oder B sollte so früh wie möglich, spätestens bis zu 48 Stunden nach Einsetzen der Symptome, beginnen; bei einem späteren Einsatz ist die Wirksamkeit nicht mehr gegeben. Die Medikamente verkürzen die Dauer der Erkrankung um etwa 1,5 - 3 Tage. Die in der EU zugelassenen Präparate sind Zanamivir (Relenza®),Oseltamivir (Tamiflu®) und Peramivir (Rapivab®).

Maßnahmen bei Patienten und Kontaktpersonen

In Einzelfällen mit nicht gesichertem Virusnachweis ist eine Absonderung des Patienten nicht sinnvoll. Bei Epidemien ist jedoch eine Unterbringung der erkrankten Personen in einem gesonderten Raum während der ersten 3-7 Tage der Krankheit empfehlenswert. Innerhalb der Familie sollten ungeimpfte und individuell besonders gefährdete Personen ( z.B. Säuglinge, Immuninkompetente, chronisch Kranke) von erkrankten Personen ferngehalten werden. Eine Untersuchung von Kontaktpersonen ist nicht von praktischem Nutzen.
Bei gehäuftem Auftreten von Influenza sollten im öffentlichen Leben grundlegende hygienische Regeln beachtet werden, z. B. das Vermeiden von Händereichen, Anhusten und Anniesen. Bei einer größeren Epidemie können gezielte Maßnahmen (z.B. Unterlassung von Großveranstaltungen) Durchseuchung verlangsamen und damit die gesellschaftlichen und medizinischen Belastungen mildern.

Die Schutzimpfung

Zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen gehört die Schutzimpfung gegen Influenza, die jährlich - vorzugsweise in den Monaten September bis November - durchgeführt werden sollte, da die meisten Krankheitsfälle in der nördlichen Hemisphäre zwischen Dezember und April auftreten. Nach der Impfung benötigt das Immunsystem rund 14 Tage, um einen vollständigen Immunschutz aufzubauen, er beginnt frühestens nach einer Woche. Im Falle einer drohenden Epidemie ist eine Impfung auch später möglich und sinnvoll. Gesunde Menschen sind dadurch - bei guter Übereinstimmung der Impfstämme mit den zirkulierenden Stämmen - etwa zu 90 % geschützt, bei Älteren ist die Schutzrate wahrscheinlich etwas geringer. Es ist unbestritten, dass die Impfung Komplikationen, Hospitalisation und die Sterblichkeit (Letalität) sehr deutlich reduziert (56% Verminderung von Influenza-bedingten Lungenentzündungen und 68% Verhinderung Influenza-bedingter Todesfälle).

 

Zielgruppen der Impfung: 

 

  • Personen über 60 Jahre Kinder,
  • Jugendliche und Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens wie z.B. chronische Lungen-, Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, Immundefizienz, HIV-Infektion,
  • Personen, die durch ihren Beruf in erhöhtem Maße einer Infektion ausgesetzt sind oder selbst durch ihre Tätigkeit die Infektion auf andere übertragen können, z.B. medizinisches Personal,
  • Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr (es sei hier noch einmal auf die Bedeutung der Impfung bei medizinischem Personal hingewiesen, die häufig durch ihre Patienten oder Angehörige infiziert werden, in der Regel keinen schweren Krankheitsverlauf haben, aber dadurch, dass sie trotz Erkrankung zur Arbeit gehen ihre u.U. immunsuprimierten Patienten anstecken können), entsprechend den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden, wenn Epidemien auftreten oder auf Grund epidemiologischer Beobachtungen befürchtet werden. 

Der Impfstoff ist sehr gut verträglich. Nebenwirkungen der Schutzimpfung gegen Influenza beschränken sich meist auf lokale Beschwerden (Rötung, Schwellung, Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle für 1-3 Tage) oder leichte Allgemeinbeschewrden (Fieber, Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, etc.), die als Ausdruck der Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff zu werten sind. Der Impfstoff selbst kann keine Influenza-Erkrankung auslösen, schützt aber natürlich auch nicht vor Erkältungskrankheiten, die nicht durch das Influenza-Virus ausgelöst sind.

Stammzusammensetzung der Influenzaimpfstoffe für die Saison 2017/2018 gemäß der Empfehlungen der WHO und der europäischen Kommission:
Aufgeführt sind die derzeit zirkulierenden Stämme und die Stämme deren Antigene in den neuen Impfstoffen enthaltenen sind.

  • A/Michigan/45/2015 (H1N1) pdm09- ähnlicher Virus
  • A/Hong Kong/4801/2014 (H3N2)- ähnlicher Virus
  • B/Brisbane/60/2008-ähnlicher Virus
  • B/Phuket/3073/2013- ähnlicher Virus

A und B bezeichnen die Virustypen, der Ortsname bezieht sich auf den Ort der Virusisolierung; die erste Ziffer gibt die Nummer des jeweils isolierten Stamms an, die zweite bezieht sich auf das Isolierungsjahr; mit H und N werden die beiden wichtigsten Proteine der Virushülle Hämagglutinin und Neuraminidase abgekürzt, die Ziffer dahinter bezeichnet den aktuellen Hämagglutinin- bzw. Neuraminidase-Subtyp. Reassortanten sind Influenzavirus-Stämme, die in ihrer Oberflächenstruktur den aktuellen Wildtypviren entsprechen, aber besonders gute Wachstumseigenschaften in Hühnereiern aufweisen. Das Hämagglutinin spielt eine zentrale Rolle bei der Etablierung einer schützenden Immunantwort gegen Influenzavirus-Infektionen.

Kontraindikationen:

 

  • Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit akuten behandlungsbedürftigen Erkrankungen sollten frühestens 2 Wochen nach Genesung geimpft werden.
  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung sind bis zur Klärung der Ursache eine Kontraindikation gegen eine nochmalige Impfung mit dem gleichen Impfstoff.
  • Impfhindernisse können Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs sein. Personen, die nach oraler Aufnahme von Hühnereiweiß mit anaphylaktischen Symptomen reagieren, sollten nicht mit Impfstoffen, die Hühnereiweiß enthalten (z.B. Influenza-Impfstoff), geimpft werden.

Falsche Kontraindikationen

Häufig unterbleiben indizierte Impfungen, weil bestimmte Umstände irrtümlicherweise als Kontraindikationen angesehen werden. Dazu gehören zum Beispiel: 

  • Banale Infekte, auch wenn sie mit subfebrilen Temperaturen ( 38,5 °C) einhergehen
  • Ein möglicher Kontakt des Impflings zu Personen mit ansteckenden Krankheiten
  • Krampfanfälle in der Familie Fieberkrämpfe in der Anamnese des Impflings (Da fieberhafte Impfreaktionen einen Krampfanfall provozieren können, ist zu erwägen, Kindern mit Krampfneigung Antipyretika zu verabreichen: z. B. bei Totimpfstoffen zum Zeitpunkt der Impfung und jeweils 4 und 8 Stunden nach der Impfung sowie bei der MMR-Impfung zwischen dem 7. und 12. Tag im Falle einer Temperaturerhöhung.)
  • Ekzem u.a. Dermatosen, lokalisierte Hautinfektionen
  • Behandlung mit Antibiotika oder mit niedrigen Dosen von Kortikosteroiden oder lokal angewendeten steroidhaltigen Präparaten
  • Schwangerschaft der Mutter des Impflings
  • Angeborene oder erworbene Immundefekte bei Impfung mit Totimpfstoffen
  • Neugeborenenikterus Frühgeburtlichkeit: Frühgeborene sollten unabhängig von ihrem Geburtsgewicht entsprechend dem empfohlenen Impfalter geimpft werden.
  • Chronische Erkrankungen sowie nicht progrediente Erkrankungen des ZNS

Indizierte Impfungen sollen auch bei Personen mit chronischen Erkrankungen durchgeführt werden, da diese Personen durch schwere Verläufe und Komplikationen impfpräventabler Krankheiten besonders gefährdet sind. Personen mit chronischen Erkrankungen sollen über den Nutzen der Impfung im Vergleich zum Risiko der Krankheit aufgeklärt werden. Es liegen keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass eventuell zeitgleich mit der Impfung auftretende Krankheitsschübe ursächlich durch eine Impfung bedingt sein können.

Zeitabstand zwischen Impfungen und Operationen

Bei dringender Indikation kann ein operativer Eingriff jederzeit durchgeführt werden, auch wenn eine Impfung vorangegangen ist. Bei Wahleingriffen sollte nach Gabe von Totimpfstoffen ein Mindestabstand von 3 Tagen und nach Verabreichung von Lebendimpfstoffen ein Mindestabstand von 14 Tagen eingehalten werden.
Weder klinische Beobachtungen noch theoretische Erwägungen geben Anlass zu der Befürchtung, dass Impfungen und operative Eingriffe inkompatibel sind. Um aber mögliche Impfreaktionen und Komplikationen der Operation unterscheiden zu können, wird empfohlen, zwischen Impfungen und Operationen diese Mindestabstände einzuhalten. Diese Mindestabstände gelten, mit Ausnahme von Impfungen aus vitaler Indikation (z. B. Tetanus-, Tollwutschutzimpfung), auch für die Durchführung von Impfungen nach größeren operativen Eingriffen.


 

2. Grippeschutzimpfung bei Tumorpatienten, die eine Chemotherapie erhalten.

Gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen und Immunsuppression sollten vor impfpräventablen Erkrankungen geschützt sein. Unter Immunsuppression sind in der Regel Lebendimpfstoffe kontraindiziert. Der Grippeimpfstoff ist aber ein Totimpfstoff aus inaktivierten weil gespaltenen Grippeviren, weswegen eine Auslösung einer Influenza-Erkrankung durch die Impfbestandteile nicht zu befürchten ist.
 Bei Impfungen von Patienten verschiedener Altersstufen mit Lymphomen, Leukämien oder soliden Tumoren während oder nach Chemotherapie wurde über meist zufriedenstellende Impfresultate bei guter Verträglichkeit der Impfung berichtet. Totimpfstoffe können in ihrer Wirksamkeit aufgrund der Immunsuppression eingeschränkt sein.
Bei Patienten mit zum Zeitpunkt der Impfung behandlungsbedürftigen niedrig-malignen Non-Hodgkin-Lymphomen (CLL, follikulären Lymphomen u.a.) wurde bei einigen Versuchen u.a. mit Hepatitis-A Impfstoff, der vom Ansatz her dem Grippeimpfstoff ähnelt, kein Impferfolg erzielt. Die Behandlung von Patienten mit Lymphomen mit Anti-CD20 Antikörper (Rituximab/Mabthera® u.a.) führt zu einem Verschwinden der peripheren B-Lymphozyten für 6-9 Monate, was eine zusätzliche Abschwächung der Immunantwort erwarten läßt. Bei so behandelten Patienten wurde über fehlendes Ansprechen auf Neu-Impfungen berichtet und auch über ein geringeres Ansprechen auf Auffrischungsimpfungen im Vergleich zu Impfungen bei den gleichen Patienten vor Beginn der Therapie mit Anti-CD20 Antikörper.
 Bei Impfungen von Patienten mit HIV-Erkrankung wurde ein ausreichender Impfschutz in der Regel nicht erreicht, wenn die T-Zellen deutlich erniedrigt waren, während die Impfung bei Patienten mit mehr als 100 CD4-positiven Zellen/µl häufig erfolgreich war.
Bei Patienten unter einer Kortison-Dauermediaktion von 20mg Prednisonäquivalent oder höher ist ebenfalls ein nur sehr begrenzter Impferfolg zu erwarten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Grippeschutzimpfung bei Patienten mit einer Tumorerkrankung in der Regel ebenso sicher wie in der Normalbevölkerung ist.

Unter mäßig immunsupressiver Chemotherapie, wie sie z.B. bei Brust-, Darm-, Lungen- und den meisten anderen soliden Tumorerkrankungen üblich ist, kann häufig ein altersentsprechend vergleichbaren Impfschutz erzielt werden.
Gegebenfalls ist ein für die Impfung günstiger Zeitpunkt zur Immunisierung außerhalb eines Therapiezyklus mit möglichst normalen Leukozytenwerten abzuwarten.
 

   

Quellen:

  1. Europäiische Influenzaaktivität mit Landkarte
  2. European Influenza Surveillance Scheme (EISS)
  3. STIKO: Impfkommission
  4. Robert-Koch-Institut