Hodentumore


 

Synonyme und Untergruppen


Hodenkrebs, Keimzelltumor des Hodens, Extragonadaler Keimzelltumor, Seminom, embryonales Karzinom, Dottersack-Tumor, Chorionkarzinom, Teratom, Teratokarzinom, Hodenmischtumor



Epidemiologie


Hodentumore sind die häufigste bösartige Tumorerkrankung des jungen Mannes im Alter zwischen 20 und 40 Jahren und gleichzeitig eine der am besten heilbaren Tumorerkrankungen. Spätestens seit Lance Armstrong 3 Jahre nach Überstehen seiner Hodentumorerkrankung, die vor Beginn der Therapie schon ausgedehnte Absiedlungen in der Lunge und im Gehirn gebildet hatte, die Tour de France gewonnen hat, ist dies auch breiter bekannt. Während vor Einführung von Cisplatin in die Therapie von Hodentumoren die meisten jungen Männer an der Erkrankung verstarben, werden inzwischen insbesondere in frühen Stadien fast alle Patienten dauerhaft geheilt.
Etwa 3000 Erkrankungen entsprechend einer Erkrankung pro 14000 Männer treten jedes Jahr neu auf. Das mittlere Alter beim Auftreten eines sog. nichtseminomatösen Hodentumors liegt bei 27 Jahren und bei Seminomen bei 37 Jahren. Die Häufigkeit ist insbesondere in Nordeuropa und Nordamerika hoch und hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre verdoppelt. Als Grund dafür werden der Einsatzes von Pflanzenschutz- und Insektenvernichtungsmitteln, früher Beginn der Pubertät, Viruserkrankungen, Lösungsmittel-, Schwermetall- und Exposition gegenüber Chrom u.a. diskutiert.



Herkunft und Früherkennung


Der Tumor geht von den Keimzellen des Hodens aus. Je nachdem welche Hodenzelle in welchem Entwicklungsstadium tumörös entartet, können histologisch verschiedene Tumoren entstehen, die nach ihren Ursprungszellen bzw. Differenzierungsgrad benannt werden (Seminom ausgehend von einem Spermatozyten oder von einer unreifen Keimzelle, Embryonales Karzinom ebenfalls ausgehend von einer unreiferen Keimzelle, reifes bzw. unreifes Teratom und Teratokarzinom bei embryonaler Differenzierung und Chorionkarzinom oder Dottersacktumor bei extraembryonaler Differenzierung). Junge Männer mit einem Leisten- oder Pendelhoden in der Vergangenheit entwickeln später häufiger einen Hodentumor und sollten daher besonders auf Frühsymptome wie eine schmerzlose oder auch schmerzhafte Hodenschwellung oder ein Ziehen oder Schweregefühl im Hoden achten. Das Auftreten von Rückenschmerzen durch vergrößerte Lymphknoten im Bauchraum ist ein Zeichen für eine fortgeschrittenere Erkrankung.

Da die Keimzellen im Laufe der Embryonalentwicklung erst in den Hoden wandern und unter Umständen auf dem Weg verbleiben und maligne entarten können, kann sich ein Keimzelltumor auch außerhalb des Hodens z.B. im Bauchraum oder in der Brust bilden und wird dann extragonadaler Keimzelltumor genannt..



Diagnose


Besteht der Verdacht auf einen Hodentumor, kann der Urologe durch Untersuchung, Ultraschall und Bestimmung von Tumormarkern in einer Blutprobe diesen Verdacht entkräften oder erhärten.
Häufig muß zunächst der Ursprungstumor im Hoden (Primärtumor) durch eine Entfernung des Hodens (Orchidektomie) behandelt und der Tumor histologisch untersucht werden. Dazu wird der befallenen Hoden in Vollnarkose durch einen Schnitt in der Leiste entfernt und ggf. in der gleichen Operation eine Probe aus dem gegenüberliegenden Hoden entnommen. Dies ist eine relativ einfache und gefahrlose Operation, durch die entgegen häufiger Befürchtung von Patienten langfristige Nebenwirkungen wie Unfruchtbarkeit oder Impotenz nicht auftreten. Liegt ein Tumor auf beiden Seiten vor oder ist eine Chemotherapie oder Bestrahlung notwendig, können außerdem Spermien kryokonserviert, d.h. tiefgekühlt gelagert werden. Zur Feststellung der Ausbreitung des Tumors sind eine Computertomographie des Abdomens und des Thorax und in Abhängigkeit von der Syptomatik und dem festgestellten Stadium evtl. weitere Untersuchungen (u.a. CT-Schädel, Knochenszintigraphie, Kernspin ) nötig.



Stadieneinteilung


Alle oben genannten Tumoren werden als Keimzelltumoren bezeichnet. Die Behandlung unterscheidet sich je nach Tumortyp (Histologie: Seminom, Nichtseminomatöser Hodentumor ) und Ausbreitung des Tumors (Tumorstadium), für die es verschiedene Klassifikationen gibt.

Man unterscheidet vereinfacht 3 Tumorstadien (nach Lugano):
Im Stadium I A-C ist der Tumor auf den Hoden bzw. das umliegende Gewebe beschränkt, im
Stadium II sind Lymphknotenmetastasen unterhalb des Zwerchfells feststellbar (A: <2cm, B: 2-5 cm, C: >5 cm oder Tumorinvasion der Venen, D: Tastbarer Abdominaltumor (>10cm) oder Resttumor nach Lymphadenektomie) und im
Stadium III gibt es Metastasen oberhalb des Zwerchfells (0: positiver Tumormarker ohne sichtbare Metastasen, A: supraclaviculäre oder mediastinaler Lymphknotenbefall ohne Organmetastasen, B: nur Lungenmetastasen <5 <2cm bzw. >5 oder ein Herd > 2cm oder Pleuraerguß, C: Hämatogene Metastasen außerhalb der Lungen.



Die International Germ Cell Cancer Collaborative Group (IGCCCG) hat außerdem noch 3 Prognosestadien festgelegt:

Erste Gruppe, in die ca. 56% der Nichtseminome und 90% der Seminome fallen:
Niedrige Tumormarker: AFP<1000ng/ml und ß-HCG <1000ng/ml (<5000 mIU/ml) und LDH <1,5facher Normalwert
Nichtseminom: Tumor auf den Hoden begrenzt/primär retroperitonealer Tumor und niedrige Tumormarker und keine nichtpulmonalen viszeralen Metastasen
Seminom: jede Primärlokalisation, jeder Tumormarker und keine nichtpulmonalen viszeralen Metastasen.

Zweite Gruppe mit ca. 28% der Nichtseminome und 10% der Seminome:
Intermediäre Tumormarker: AFP 1000-10000ng/ml, ß-HCG 1000-10000ng/ml (5000-50000 mIU/ml), LDH 1,5-10facher Normalwert.
Nichtseminom: Tumor auf den Hoden begrenzt/primär retroperitonealer Tumor und intermediäre Tumormarker und keine nichtpulmonalen viszeralen Metastasen
Seminom: jede Primärlokalisation, jeder Tumormarker und nichtpulmonalen viszeralen Metastasen.

Dritte Gruppe mit ca. 16% der Nichtseminome:
Hohe Tumormarker: AFP > 10000 ng/ml, ß-HCG>10000ng/ml (>50000 mIU/ml), LDH >10facher Normalwert.
Nichtseminom: primär mediastinaler Keimzelltumor oder hohe Marker oder nichtpulmonale viszerale Metastasen

Die Indiana-Klassifikation unterscheidet:
advanced: mehr als 10 Lungenmetastasen pro Lungenflügel oder Lungenmetastasen >3cm oder palpabler Abdominaltumor (entsprechend >10cm) mit Lungenmetastasen oder Leber-, Knochen- oder ZNS-Metastasen und Mediastinaltumor mit mehr als 50% des intrathoraklaen Durchmessers.
moderate: palpabler Abdominaltumor ohne supradiaphragmale Manifestation oder Mediastinaltumor <50% oder 5-10 Metastasen pro Lungenflügel <3cm oder solitäre pulmonale Manifestation >2cm bei nichtpalpabler abdomineller Manifestation.
minimal: alle übrigen.

Es sei noch einmal an Lance Armstrong erinnert, der nach jeder der oben genannten Klassifikationen das höchste Tumorstadium hatte; auch in fortgeschrittenen Stadien kann der überwiegende Anteil an Patienten von ihrer Erkrankung geheilt werden.



Behandlung


Seminom:

Stadium I (s.o. unter Lugano): Das Risiko für eine okkulte Metastasierung (also einer Metastasierung, die trotz regelgerechter Staging Untersuchung noch nicht erkennbar ist) in die lokoregionären Lymphknoten liegt bei etwa 20%, d.h. bei einem von 5 Patienten die nicht weiter therapiert wurden, kommt es zu einem erneuten Auftreten der Erkrankung in den Lymphknoten im Bauchraum. Seminome <4cm Größe ohne Infiltration der Rete testis (s.o.) haben dabei ein geringeres Metastasierungsrisiko. Nach der Orchidektomie (s.o.) kann daher entweder abgewartet und engmaschig kontrolliert werden (Wait and see) und beim Wiederauftreten der Erkrankung bestrahlt oder chemotherapiert werden oder adjuvant unmittelbar nach der Orchidektomie die Lymphabflußwege im Bauchraum mit derzeit (20-)26 Gy bestrahlt werden.
Die Strahlentherapie senkt das Rezidivrisiko dabei auf ca. 3-4% und wird in der Regel gut vertragen. Dafür werden aber 4 von 5 Patienten umsonst bestrahlt, weil sie auch ohne Bestrahlung schon geheilt wären.
Mögliche Nachteile des abwartenden Vorgehens dagegen sind die psychische Belastung durch ein möglicherweise auftretendes Rezidiv, die Notwendigkeit von engmaschigen CT-Kontrollen und die damit verbundene Strahlenbelastung,außer wenn durch Ultraschall bei sehr schlanken Patienten eine ausreichende Sicherheit für die Beurteilung der Lymphregionen zu erzielen ist und eine eventuell im Rezidiv notwendige intensivere Strahlentherapie oder in einem Viertel der Fälle eine Chemotherapie.
Beide Therapiemöglichkeiten führen aber in praktisch 100% der Fälle zu einer Heilung der Erkrankung. Eine primäre Chemotherapie wird in Studien geprüft.

Stadium II A/B: Standardtherapie ist die Bestrahlung. Eine Chemotherapie wird derzeit in Studien geprüft.



Nichtseminom:

Stadium I: Auch hier gibt es wieder wie bei den Seminomen in frühen Stadien mehrere Möglichkeiten, die alle zu Heilung in 99% der Fälle führen. Zwischen 17 und 30% der Patienten haben eine okkulte retroperitoneale und 8 % eine noch nicht sichtbare pulmonale Metastasierung trotz regelgerecht durchgeführten Staging-Untersuchungen. Das Fehlen einer vaskulären Invasion im Primärtumor ist günstig.
1. Primär operatives Vorgehen durch Entfernung der retroperitonealen Lymphknoten (Vorteil: Operative Sicherung des Tumorstadiums, nur 0-2% Rezidive im Retroperitoneum, die meisten Patienten benötigen keine Chemotherapie, einfachere Nachsorge. Nachteile: 70-83% werden unnötig operiert, nach Operation kann neben anderen Komplikationen ein Ejakulationsverlust auftreten, Lungenmetastasen werden nicht vermindert.
2. Risikoadaptiertes Vorgehen mit engmaschiger Überwachung bei niedrigem Risiko und Chemotherapie bei Nachweis einer vaskulären Invasion im Primärtumor. Vorteil: Weniger Operationen. Nachteil bei abwartender Haltung: s.o.bei Seminomen. Insgesamt mehr Chemotherapien nötig als bei primärer Operation (3x PEB bei Rezidiv nach abwartendem Vorgehen, 2x PEB bei adjuvanter Chemotherapie). Ca. 50% der Patienten in der adjuvanten Situation wären auch ohne Chemotherapie geheilt. Es kommt zu einer vorübergehenden Einschränkung der Fertilität für ca. 3 Jahre.
Stadium IIA/B: Mehrere Möglichkeiten mit gleicher sehr guter Heilungsrate. Eine retroperitoneale Tumorgröße <2cm ohne vaskuläre Invasion im Primärtumor ist günstig.
Operation der retroperitonealen Lymphknoten ohne folgende Chemotherapie.
Operation der retroperitonealen Lymphknoten und 2 Kurse PEB Chemotherapie.
Primäre Chemotherapie und Operation, wenn Lymphknoten nach der Chemotherapie noch vergrößert sind.

In fortgeschritteneren Stadien richtet sich die Therapie nach der IGCCCG Klassifikation und beginnt in der Regel mit einer Chemotherapie, bei Nichtseminomen bei sehr fortgeschrittenen Tumoren auch mit einer Hochdosis-Chemotherapie. Zu beachten ist, daß die Primärchemotherapie außerhalb von klinischen Studien bei allen Nichtseminomen und Fehlen von Kontraindikationen Cisplatin enthalten sollte und nicht Carboplatin, was bei Seminomen in frühen Stadien im Rahmen von Studien und in der Hochdosistherapie Verwendung findet.



Nachsorge


Nachsorgeuntersuchungen sind nicht nur bei abwartendem Vorgehen ausgesprochen wichtig, um die sehr guten Therapieergebnisse bei Hodentumorerkrankungen zu erreichen. Nach Abschluß einer Therapie wie oben beschrieben sind in der Regel in den ersten 2 Jahren Untersuchungen alle 3 Monate, später alle 4-6 Monate und ab dem 5. Jahr 1x jährlich nötig.



Weitere Fragen?


Unter www.hodenkrebs.de hat die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Hodentumore Informationen für Ärzte und Patienten über die Erkrankung und derzeit laufende Studien und Adressen zusammengestellt.

Wenn Sie darüber hinaus Fragen haben, können Sie sich selber oder über Ihren Hausarzt an ein Tumorzentrum in Ihrer Nähe, unsere Poliklinik unter Tel. 0201-723-2011 oder für Fragen zur stationären Behandlung an die

Station I1: Tel. 0201-723-2043

Oberarzt Dr. Th. Gauler:   Tel. 0201-723-3159,

Dr. J. Meiler: Tel. 0201-723-2026

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