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Offener Brief an die Mitglieder der Ausschüsse für Wissenschaft, Verkehr, Umwelt des Deutschen Bundestages


Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH) und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP)

Derzeit wird in der breiten Öffentlichkeit eine emotionale und nicht immer sachlich korrekte Debatte um die gesundheitlichen Folgen von Luftschadstoffen geführt. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften für Epidemiologie, Prävention und Public Health in Deutschland nehmen diese Debatte zum Anlass, Stellung zu diesem Thema zu beziehen.

In einem zweiseitigen Papier „Stellungnahme zur Gesundheitsgefährdung durch umweltbedingte Luftverschmutzung, insbesondere Feinstaub und Stickstoffverbindungen (NOx)“ vertreten Herr Professor Dr. med. Dieter Köhler und über 100 weitere Unterzeichner die Auffassung, dass die derzeitigen Berechnungen zur Gefährlichkeit von Luftschadstoffen fehlerhaft und wissenschaftlich unbegründet seien.

Herr Köhlers Papier entspricht nicht den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis und hält einer Überprüfung der Sachverhalte nicht stand. Es handelt sich hierbei um eine Meinungsäußerung, die außerhalb der üblichen qualitätssichernden Prozesse und ohne die erforderliche fachspezifische Kompetenz zustande kam.

Moderne epidemiologische Methoden bringen auch dann Erkenntnisgewinn, wenn, anders als in kontrollierten, klinischen Studien, keine Experimente durchgeführt werden können. Die derzeit verfügbaren epidemiologischen Studien zu den negativen Auswirkungen von Luftschadstoffen entsprechen den höchsten wissenschaftlichen Standards, wurden von Experten verschiedener Fachrichtungen durchgeführt und sind in ihren Ergebnissen eindeutig. Es besteht kein Zweifel daran, dass Luftschadstoffe aus Verbrennungsmotoren gesundheitsschädigende Auswirkungen haben, auch und sogar unterhalb der derzeit geltenden europäischen Grenzwerte.

Belastung durch potenzielle Schadstoffe geschieht in der Umwelt häufig in niedrigen Konzentrationen. Deshalb sind die gesundheitlichen Effekte auch nicht an der einzelnen Person direkt zu beobachten. Die Langzeitfolgen der Belastung mit Luftschadstoffen wirken sich auf die Entstehung von chronischen Erkrankungen aus und betreffen fast alle menschlichen Organsysteme einschließlich des ungeborenen Lebens im Mutterleib. Gefährdet sind alle, besonders aber Kinder, ältere Erwachsene und sozial weniger privilegierte Personen. Da viele Menschen durch den Straßenverkehr in Ballungsräumen dauerhaft der Belastung durch Luftschadstoffe ausgesetzt sind, besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf.

Die heute gültigen Grenzwerte für Feinstaub und NO2 wurden im Jahr 2008 von der EU verabschiedet. Der Grenzwert für NO2 von 40 μg/m3 basiert dabei auf den Empfehlungen der Weltgesundheits-organisation, die 2005 auf der Basis von Langzeit-Tierexperimenten und von bevölkerungsbezogenen Studien festgelegt wurden. Der Grenzwert für Feinstaub (PM2.5) liegt hingegen mit 25 μg/m3 insgesamt 2,5-fach höher als die Empfehlung der WHO. Derzeit erfolgt eine Überprüfung dieser Empfehlung anhand der aktuellen Literatur, wobei in neueren Studien auch Wirkungen unterhalb der bisherigen Richtwerte beobachtet werden.

Auf Grund der vorliegenden Daten von Gesundheitseffekten auch unterhalb heute gültiger Grenzwerte ist es dringend angebracht, die Reduktion der Luftschadstoffbelastung auf allen Ebenen weiter voranzutreiben. Wir verweisen hierzu, auch als Antwort und Widerlegung der von Herrn Köhler und Kollegen vertretenen Auffassungen, insbesondere auf das aktuelle Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V., das nach Sichtung der aktuellsten Studienlage von kompetenten Wissenschaftlern verfasst und von der führenden Fachgesellschaft der Lungenfachärzte Deutschlands im November 2018 verabschiedet und publiziert wurde. Die Schlussfolgerung des Positionspapiers lautet „Die aus gesundheitlicher Sicht notwendige Reduktion der Emissionen ist nur durch gemeinsames, interaktives und zielorientiertes Handeln auf politischer, technologischer und individueller Ebene erreichbar“. Sie zielt auf einen Umstieg auf schadstoffarme Mobilität und emissionsarme Technologien.

Die Vertreter der unterzeichnenden Fachgesellschaften fordern deshalb die politischen Entscheidungsgremien auf, sich die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu eigen zu machen und umzusetzen, insbesondere durch geeignete infrastrukturelle Maßnahmen und Anreize. Das ethische Prinzip aus der ärztlichen Praxis „primum nihil nocere“ (zuerst nicht schaden) gilt umso mehr für die Bevölkerungsmedizin. Wir haben die vornehme und dringende Pflicht, die Menschen vor Schaden zu bewahren.